Claudia Tribin

Geboren in Kolumbien. Architektin, bildende Künstlerin und Pädagogin.

Seit 2014 Koordinatorin von Xochicuicatl.

 

Seit ihrer Ankunft in Berlin ist der Einsatz für eine interkulturelle Integration der rote Faden bei Claudias Tätigkeit. Dabei verbindet sie ihre eigene Migrationserfahrung mit ihrer künstlerischen und pädagogischen Ausbildung und arbeitet daran, dass Menschen, die aufgrund ihrer Lebensumstände soziale Ausgrenzung erfahren haben – insbesondere im Zusammenhang mit ihrer Stellung als Migranten in Berlin – ein Mitspracherecht bekommen und eingebunden werden.


Bei ihrer Ankunft in Berlin 1994 nahm Claudia Kontakt zur Gruppe Lateinamerikanischer Architekten (GALA, 1992-2013) auf, einer interkulturellen Berufsgruppe mit Mitgliedern aus verschiedenen lateinamerikanischen Ländern und Deutschland. „Ich wollte mich dieser Gruppe anschließen, nicht nur um die Architektur der anderen lateinamerikanischen Länder kennenzulernen, die mir wegen unserer Fixierung auf die USA und Europa größtenteils unbekannt war, sondern auch weil ich dort sehr interessante und offenherzige Menschen kennenlernte.“

Aufeinandertreffen von GALA und Xochicuicatl: „Xochi lernte ich im Herbst 1998 kennen, als der Verein in die Winsstraße umzog. Genau zu dieser Zeit war GALA auf der Suche nach einem neuen Raum für seine Treffen, und Stella Dreier (Koordinatorin von Xochi 1997-2002) bot uns ihre Räumlichkeiten an. So begannen wir, gemeinsame Kulturveranstaltungen von GALA und Xochicuicatl zu organisieren, wie zum Beispiel die Weihnachtsfeier.“

„Zu diesem Zeitpunkt waren meine Söhne schon geboren. Ich interessierte mich sehr für das Thema zweisprachige Erziehung, denn ich wollte ihnen meine Sprache und meine Kultur vermitteln. Deshalb nahm ich die Angebote für Kinder bei Xochi wahr.“

Verbindung zu Xochi: 2004 trat Claudia dem Chor von Xochicuicatl bei. „Für seine Mitglieder ist der Chor ein offener, sozialer Ort, der uns eine Stimme und ein gutes Gefühl verleiht. Außerdem lernen wir die iberoamerikanische Musik kennen.“

2010 bot Claudia im Rahmen von Xochi das Film- und Diskussionsprojekt „Xochicine“ an, das zum Austausch über geschlechtsspezifische Themen anregen sollte. „Da ich das Kino liebe, packte ich diese Aufgabe mit großer Begeisterung an und organisierte Diskussionen zu meist lateinamerikanischen Filmen. Ausgehend von den Ideen des brasilianischen Pädagogen Paulo Freire versuchte ich damit einen Ort der Begegnung zu schaffen, an dem Vertrauen entstehen und ein Austausch von Wissen und Erfahrungen stattfinden kann. Es kamen Frauen mit unterschiedlichen Lebenshintergründen und immer wieder gelang es uns, Tabuthemen zur Sprache zu bringen. Einmal fasste eine Teilnehmerin den Mut zu erzählen, wie sie als Kind von einem Familienangehörigen mißbraucht worden war. Dadurch kam eine andere Teilnehmerin aus sich heraus, dann noch eine, und plötzlich hatten wir fast alle eine Geschichte zu diesem Thema zu erzählen. Das heißt, es war kein Einzelfall, sondern sehr vielen Frauen passiert. Wenn man diese Erfahrung mit anderen teilt, befreit man sich nicht nur von der jahrelang unterdrückten Scham, sondern man kann sogar die Erniedrigung überwinden. Wenn man erkennt, dass eine persönliche Tragödie nicht einfach persönliches Pech oder Schicksal ist oder von einem Minirock abhängt… sondern dass Konstellationen der Macht, der Vorherrschaft eines jahrhundertealten Patriarchats dazu führen, dann fühlst du dich ermutigt, gemeinsam mit anderen Frauen daran etwas zu ändern. Ich fühlte mich in der Pflicht etwas in diesem Sinne zu tun, und das Thema Geschlechter und der Respekt der Frauenrechte nahmen bei meinen Projekten eine immer wichtigere Stellung ein.“

Parallel zu Xochicine begann Claudia freiwillig für Xochi zu arbeiten. Sie begleitete Frauen bei Behördenvorgängen und wurde Mitglied des Vereinsvorstands.

„Als Susana Yáñez’ Zeit als Koordinatorin zu Ende ging, ermunterte sie mich, mich für diesen Posten zu bewerben. So kommt es, dass ich seit Anfang 2014 als Koordinatorin von Xochi arbeite.“

„Durch diese Stelle konnte ich hunderte sehr wertvoller Frauen kennenlernen, von denen einige schwierigste Situationen bewältigen mussten, die aber alles dafür taten, um weiterzukommen. Und ich lernte viele andere kennen, die ihnen dabei helfen wollen und durch ihre Solidarität dazu beitragen, dass sie es schaffen.“

Herausforderungen ihrer Arbeit bei Xochi: „Die größte Herausforderung ist es, Frauen Unterstützung anzubieten, die sich in einer sehr heiklen Lage befinden, in der sie Ungerechtigkeiten und Diskriminierung ausgesetzt sind. Sich bewusst zu machen, was genau dabei abläuft, ist der erste Schritt, um wieder herauszukommen. Eine andere große Herausforderung ist es, die Ungleichheit der Geschlechter (Gewalt gegen Frauen, Ausnutzung bei der Arbeit bis hin zu Vergewaltigungen) zu verringern. Bei Xochi versuchen wir dieser Ungleichheit entgegenzutreten, indem wir die Frauen informieren und dazu ermutigen, die Konfliktketten zu brechen, um ihre Träume und Utopien zu verwirklichen.“

Über Xochi: „ein Ort voll Herzlichkeit, der Solidarität und der Unterstützung.“

Wie stellst du dir Xochi in 25 Jahren vor? „Der Verein wird weiter eine Anlaufstelle sein, um Unterstützung bei den Schwierigkeiten zu bekommen, die sich bei der Ankunft in Deutschland stellen, wenn man die sprachlichen, kulturellen, administrativen und politischen Konventionen nicht kennt. Aber es ist auch ein Ort der Reflektion, der Kenntnisse hevorbringt, die Antworten auf die neuen sozialen Herausforderungen geben. Es gibt hier ein Team von Frauen, die ihre Bürgerrechte kennen, verteidigen und nutzen, indem sie sich aktiv in die deutsche Gesellschaft einbringen. Außerdem werden diese Frauen weiter singen und malen, fröhlich und solidarisch sein.“

Seit ihrer Ankunft in Berlin ist der Einsatz für eine interkulturelle Integration der rote Faden bei Claudias Tätigkeit. Dabei verbindet sie ihre eigene Migrationserfahrung mit ihrer künstlerischen und pädagogischen Ausbildung und arbeitet daran, dass Menschen, die aufgrund ihrer Lebensumstände soziale Ausgrenzung erfahren haben – insbesondere im Zusammenhang mit ihrer Stellung als Migranten in Berlin – ein Mitspracherecht bekommen und eingebunden werden. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Frauenfrage: Was es bedeutet, Frau und Migrantin in dieser Stadt zu sein, motiviert sie zu einer Arbeit, die sich auf die Gleichheit der Geschlechter und solidarische Netzwerke beruft. Seit Claudia zu Xochi gestoßen ist, ist dieser Fokus zentral geworden. Es sind die Themen, bei denen sie als Koordinatorin von Xochicuicatl e.V. – Lateinamerikanischer Frauenverein vor allem etwas voranbringen möchte.

Berlin, 15. November 2016

Interview und Text: Diomar González Serrano
Übersetzung: Laura Haber