Sonia Solarte

Geboren in Kolumbien. Psychologische Psychotherapeutin. Sängerin. Schriftstellerin.

Koordinatorin der Schreibwerkstatt Canto de Flores. Gründungsmitglied von Xochicuicatl.

 

Sonia hat immer an dem Prinzip festgehalten, dass die Erfahrung und das Wissen, das wir im Laufe unseres Lebens sammeln, um sie im Dienst unserer Gemeinschaft anzuwenden, die Integration in eine neue Kultur nicht bremsen, sondern sie fördern, ihr Nahrung und Stärke geben. Sie sind die Schlüssel, um sich gegenüber dem neuen Land zu öffnen und mit ihm in Austausch zu treten.


1988 begleitete Sonia ihren Mann nach Berlin, den berufliche Gründe dorthin führten. Verführt von der Ruhe und Stille in dieser Stadt wollte sie sich dort niederlassen und die Herausforderungen, die eine neue Kultur mit sich bringt, annehmen, „genauso wie die harte Tatsache, wegen Unkenntnis der Sprache nicht weiterstudieren zu können“.

Die Schreibwerkstatt Xochicuicatl. 1990 lernte Sonia bei einer politischen Veranstaltung über Kolumbien die damalige Psychologiestudentin Amalia Valenzuela kennen, ein Gründungsmitglied von Xochicuicatl. Amalia war zu einem Treffen lateinamerikanischer Dichterinnen eingeladen worden, das Christiane Barckhausen organisierte, eine der Frauen aus der ehemaligen DDR, die gemeinsam das interkulturelle Frauenzentrum S.U.S.I Solidarisch, Unabhängig, Sozial, International (1989) gegründet hatten. Amalia gab Sonia über das Dichtertreffen Bescheid, bei dem diese drei Frauen zusammenfinden sollten. Von da an entwickelten sie gemeinsam die Idee, Schreibworkshops für lateinamerikanische Frauen in Berlin zu organisieren. S.U.S.I. würde die Finanzierung des Projekts übernehmen, Sonia und Amalia die Koordination sowie die Suche nach Teilnehmerinnen. Im Mai 1991 wurde die „Schreibwerkstatt Xochicuicatl“ eröffnet. Das Wort stammt aus der indigenen Sprache Nahuatl und bedeutet „Blumengesänge“.

In das methodologische Konzept der Schreibwerkstatt ließ Sonia viele Elemente aus ihrem beruflichen Fundus mit einfließen. Im Laufe eines Jahres hatte sich eine Gruppe von zehn Frauen gebildet, die sich mit geschlechtsspezifischen Themen wie „Frau und Arbeit“, „Frau und Macht“, Frau und Körper“ usw. sowie den unumgänglichen Themen „Frau und Identität“, „Frau und Migration“ beschäftigte. „Das war eine sehr wichtige Erfahrung, weil wir uns in der Schreibwerkstatt kreativ über unsere Schwierigkeiten als Migrantinnen in Deutschland äußern und uns Unterstützung und Beratung holen konnten. Außerdem konnten wir uns hier persönlich entfalten und unsere Fähigkeiten stärken, um trotz eines anderen kulturellen und soziopolitischen Hintergrunds in der deutschen Gesellschaft zu leben und zu wirken. Diese Kraft schöpften wir vor allem aus dem Schreiben und dem Antrieb, den wir als Gruppe erzeugten.“

„Wir trafen uns jeden Samstag für fünf Stunden. Sowohl inhaltlich als auch emotional war es eine sehr intensive Erfahrung.“

„Die Schreibwerkstatt wurde zu einem zentralen Bezugspunkt in unserem Leben, gleichzeitig eröffnete sich für uns dadurch ein Weg, über unsere Texte mit einem deutschen Publikum zu kommunizieren, das interessiert und neugierig war, etwas über uns und unsere künstlerische Arbeit zu erfahren.“

Von der Schreibgruppe zum Verein: „Bei der Gründung des lateinamerikanischen Frauenvereins Xochicuicatl kamen meiner Einschätzung nach zwei entscheidende Dinge zusammen: Erstens ergab sich aus der Gruppendynamik der Schreibwerkstatt unser dringender Wunsch einen Ort zu schaffen, wo sich Lateinamerikanerinnen für ihr Leben in Berlin Antriebskraft holen und solidarische Unterstützung finden konnten, und zwar nicht nur diejenigen, die schon in Berlin Wurzeln geschlagen und Deutsch gelernt hatten, sondern auch und ganz besonders diejenigen, die gerade erst angekommen waren. Die zweite, ganz wesentliche Sache, die zur Gründung von Xochicuicatl als Verein beitrug, waren die politischen Umstände. Die Stadt war gerade erst wiedervereint worden und es war wichtig, neben vielen anderen Dingen die sozialen und kulturellen Angebote zu stärken. Die Senatsverwaltung für Frauen und Arbeit stellte genau zu diesem Zeitpunkt, in den Jahren 1991/92, Geld für neue Frauenprojekte und Frauenzentren in Ostberlin zur Verfügung.“

Ein Jahr nach der Eröffnung der Schreibwerkstatt, am 15. Januar 1992, gründeten die zehn Mitglieder „Xochicuicatl e.V. – Lateinamerikanischer Frauenverein“. „Wir organisierten uns, wählten den ersten Vorstand, verteilten Ämter und Aufgaben. (…) Nach der Vereinsgründung nahmen wir uns vor, uns die Unterstützung der Senatsverwaltung für Frauen und Arbeit einzuholen.

Über Xochi: „Ein großes Nest, in dem sich verschiedenfarbige Vögel unterschiedlicher Herkunft und Kulturen niederlassen.“

Wie stellst du dir Xochi in 25 Jahren vor? „Der Austausch zwischen den Kulturen, die soziokulturellen und politischen Verbindungen zwischen Lateinamerika und Deutschland werden auch in Zukunft von großer Bedeutung sein. Daher stellt Xochi eine wichtige Brücke zwischen unseren Kulturen dar, als erste Anlaufstelle für Frauen, die aus Lateinamerika auswandern, hier stark werden und selbst ihren Beitrag leisten können.“

Sonia hat immer an dem Prinzip festgehalten, dass die Erfahrung und das Wissen, das wir im Laufe unseres Lebens sammeln, um sie im Dienst unserer Gemeinschaft anzuwenden, die Integration in eine neue Kultur nicht bremsen, sondern sie fördern, ihr Nahrung und Stärke geben. Sie sind der Schlüssel, um sich gegenüber dem neuen Land zu öffnen und mit ihm in Austausch zu treten. Sonia zeigt uns auch, dass, wie schwierig und bisweilen schmerzhaft der Migrationsprozess auch sein mag, ihn in einer Stadt wie Berlin zu leben, uns die Türen zu einem Horizont öffnet, wo Kreativität und Verbindungen mit Menschen aus verschiedenen Kulturen möglich sind.

Berlin, 9. November 2016

Interview und Text: Diomar González Serrano
Übersetzung: Laura Haber